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IRS/Erkner, Wiss. Samml., C78_F05-01 (Fotograf: Kurt Schwarz)

Iris Grund

1933, Architektin

Galionsfigur einer gelungenen Gleichstellungspolitik

Seit jeher liegt die Baubranche in Männerhand. Zu den wenigen Frauen, die sich in dieser Domäne behaupten konnten, zählt Iris Grund. Über 20 Jahre bekleidete sie das Amt des Stadtarchitekten in Neubrandenburg. Schon vorher setzte sie mit dem »Kulturfinger« eine Landmarke. Das 56 Meter hohe Turmhaus im schlichten Stil der 1960-er Jahre ist bis heute ein Wahrzeichen von Neubrandenburg.

Sieben Jahre später kamen auf sie, nunmehr als neue Stadtarchitektin, andere Aufgaben zu. Zwanzig Jahre lang, von 1970 bis 1990, war sie mit der Planung neuen Wohnraums beschäftigt. Dabei hatte sie stets die Bedürfnisse der Nutzer:innen im Blick.

Wir studierten und arbeiteten mit selbstverständlicher Gleichberechtigung, die ich später im Berufsleben sehr häufig vermisst habe.

Biografie

1933
Iris Dullin wird am 16.3. in Berlin geboren
1952
Architekturstudium an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee
1955
Geburt der Tochter Simone
1957
Mitarbeiterin im Büro von Hermann Henselmann in Berlin
1959
Kurzzeitige Mitarbeit bei Ernst May in Hamburg
1965
Einweihung des Hauses der Kultur und Bildung in Neubrandenburg
1968
Berufung an die Deutsche Bauakademie in Ostberlin, bleibt bis 1990 Mitglied
1970
Promotion zu Dr.-Ing.
1970
Stadtarchitektin von Neubrandenburg bis 1990
1973
Neubrandenburger Oststadt wird mit Wohnungsbauserie 70 bezugsfertig
1976
Verleihung der Schinkel-Medaille
1977
Architekturpreis der DDR
1979
Tätigkeit als eine der Planerinnen des Stadtbezirks Berlin-Marzahn
1981
Zweite Verleihung der Schinkel-Medaille
1991
Eröffnung eines Architekturbüros in Berlin
1995
Einweihung der von Iris Grund geplanten Sport- und Festhalle der Stadt Lychen
1999
Umzug nach Les Issambres (Cote D’Azur, Frankreich)
2008
Rückzug nach Deutschland

Foto: Hans Wotin
Foto: Hans Wotin

Beim Aufbau mithelfen

Iris, geborene Dullin, wurde 1933 in Berlin geboren. Einen Bezug zur Baubranche hatte sie von Anfang an, denn ihr Vater war Maurer in dritter Generation. Als Kind zu Kriegszeiten war sie geprägt von der Zerstörung der Gebäude, Straßen und Brücken Berlins. Um zu helfen, beschloss sie Architektin zu werden. Und nichts konnte sie davon abbringen. Auch ihr beschwerliches praktisches Jahr als ›Hauptbauhilfsarbeiterin im Tiefbaukombinat‹ an der zerstörten Jannowitz-Brücke zu Beginn der 1950er Jahre.
Sie studierte an der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee und erhielt eine umfassende Ausbildung in allen Fachbereichen der Architektur. Während des Studiums gebar sie ihre Tochter Simone, vom Vater des Kindes ließ sie sich bald scheiden. Trotz aller privaten Hürden beendete sie ihr Studium 1957 erfolgreich.
Der bis dahin als Star-Architekt geltende Hermann Henselmann (1905–1995) stellte sie und fünf weitere Absolvent:innen der Kunsthochschule auf einmal in seinem Planungsbüro ein. Es ging um nichts Geringeres als das Zentrum für die neu entstandene Hauptstadt Ost-Berlin zu konzipieren. Tag und Nacht arbeiteten die Nachwuchs-Architekt:innen an den Plänen. Doch der Wind hatte sich unmerklich gedreht – Henselmann war politisch plötzlich nicht mehr gewollt. Seine Idee eines Fernsehturms als Zeichen absoluter Zukunftsgewandtheit wurde aufgenommen, aber nun von anderen Architekt*innen umgesetzt. Alle Pläne und Modelle aus dem Büro Henselmann verschwanden ohne Widerhall. Die Absolvent:innen verstreute es in alle Winde.

Eine überzeugte Sozialistin

Iris Dullin versuchte zunächst im Westen Fuß zu fassen. Der bekannte Hamburger Architekt Ernst May (1886–1970) ließ sie zur Probe im nordrhein-westfälischen Hagen einen Wohnkomplex projektieren. Jedes Wochenende flog sie zu ihrer Tochter – vor dem Mauerbau war das möglich – sodass sie ausschließlich berufliche Kontakte knüpfen konnte. Sie kam zu dem Ergebnis, es fehle »die Menschlichkeit« im westlichen Hamburg, so schrieb sie in ihrer Autobiografie. Bewusst entschied sie sich daraufhin, in die DDR zurückzukehren und schnell änderte sich ihr Leben: Privat lernte sie den Bauingenieur Gerhard Grund aus Neustrelitz kennen, der gerade ein Einfamilienhaus für sich und seinen Sohn bauen ließ. Sie zog mit ihrer Tochter zu ihnen und heiratete.
Etwa zur gleichen Zeit gewann sie die Ausschreibung zur Planung des Hauses für Bildung und Kultur (HBK) im nahen Neubrandenburg, das 1965 eingeweiht wurde. Für ihre Planung fragte sie bei allen Vereinen und Initiativen der Stadt den Bedarf ab – so kamen die 15 Stockwerke des »Kulturfingers« zustande.
Iris Grund war also bekannt, als sie 1970 das Amt des Stadtarchitekten übernahm. Zwei Jahre vorher war sie an die Deutsche Bauakademie in Ost-Berlin berufen worden und bekam dort ihren Doktortitel verliehen. Bis 1990 blieb sie Mitglied der Forschungsstätte.
Damals gab es immense Wohnraumknappheit in Neubrandenburg. Die Einwohner:innenzahl von Neubrandenburg vervierfachte sich zwischen 1950 (22.412) und 1988 (90.471), zumal 80 Prozent der Stadt im Krieg zerstört wurde. Die Lösung versprachen Häuserblöcke in Plattenbauweise. Iris Grund hatte die Idee, die noch existierenden Häuser des mittelalterlichen Zentrums eng mit den neuen Wohnblöcken zu verzahnen – zu dieser Zeit eine sehr unpopuläre Ansicht.

IRS/Erkner, Wiss. Samml., C78_F27-01 (Fotograf: Hans Meissner)
IRS/Erkner, Wiss. Samml.
IRS/Erkner, Wiss. Samml.

Frau Architekt

Im November 1967 fuhr sie mit Professor Werner Heinisch, dem Präsidenten der Bauakademie, in einem Aufzug »und er sagte: ›Du wirst ja immer hübscher, Mädchen‹. Ich verstummte. Kurz bevor das Schweigen peinlich wurde, war der Aufzug zum Glück da. Hatte er mir sonst nichts zu sagen?«
Die Architektin in der Männerdomäne galt als zurückhaltend und traf immer den richtigen Ton. Auch deshalb gelang es ihr, Mitglied der SED, sich als Galionsfigur einer gelungenen Gleichberechtigungspolitik zu etablieren.
Von ihr zeigte sich die Schriftstellerin Brigitte Reimann (1933–1973) ebenfalls beeindruckt: Iris Grund kann als literarisches Vorbild für Reimanns bekanntesten Roman ›Franziska Linkerhand‹ gelten. Bei einer zufälligen Begegnung in Berlin konnte die Architektin nicht anders, als der Autorin ausgiebig von der Borniertheit der Männer in der Bau- und Politikbranche zu erzählen. Der Roman handelt von den Hoffnungen und Enttäuschungen einer Architektin bei dem Aufbau der DDR.
Bis nach der Wende hielt Iris Grund an ihrer sozialistischen Vision fest. Und musste mit ansehen, wie die in der Altstadt Neubrandenburgs typischen Straßenfluchten durch neue Bauten durchkreuzt wurden. Daraufhin kehrte sie der ›Stadt der vier Tore‹ 1991 enttäuscht den Rücken und eröffnete mit ihrem Ehemann Gerhard Grund zusammen ein Architekturbüro in Berlin. 1999 wanderten sie an die französische Côte d’Azur aus. Als Rentnerin kehrte sie 2008 nach Deutschland zurück.
Sowohl ihre Tochter als auch der Sohn ihres Ehemannes sind Architekt:innen geworden.

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Iris Grund

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