1861 – 1944, Komponistin und Geschäftsfrau Von der Hotelsuite ins Siechenhaus
Als Mädchen genoss Luise Greger den Ruf eines Wunderkindes. Sie konnte singen und sich gleichzeitig am Klavier begleiten. Zeitlebens komponierte sie ein umfangreiches Werk. Gesellschaftliche Konventionen durchbrach sie, leitete ein Kurhaus in Kassel und ließ sich 1911 von ihrem Mann scheiden. Sie verhungerte in einer psychiatrischen Klinik während des Nationalsozialismus.
Luise Sumpf kam 1861 in Greifswald als jüngstes von fünf Kindern des Viehhändlers August Sumpf und seiner Frau Auguste, geborene Siemers, zur Welt. Den Eltern muss das beachtliche musikalische Talent des Kindes aufgefallen sein. Denn ab ihrem fünften Lebensjahr erhielt sie Klavierunterricht bei dem Greifswalder Musikdozenten Carl Ludwig Bemmann (1807 – 1893), obwohl die Eltern zu diesem Zeitpunkt noch jeden Pfennig dreimal umdrehen mussten. Die Greifswalder Brauerei, mit der die Familie zu Wohlstand kommen sollte, übernahm August Sumpf erst im Jahr 1870.
Schon mit neun Jahren fing Luise selbst an zu komponieren. Die Stücke »Gruß« und »Alles können sie ergründen« schrieb sie mit gerade mal elf Jahren. Ungewöhnlich früh begann sie auch öffentlich aufzutreten. In Familienkreisen kursiert die Geschichte, dass sie schon als Neunjährige dem russischen Zaren Alexander II. vorspielte.
Im 19. Jahrhundert hätten einem Jungen mit diesem Talent vielleicht die Tore der Welt offengestanden. Er hätte die bestmögliche Ausbildung und Förderung bekommen. Aber Luise war nun mal ein Mädchen.
Ich wollt’, ich wär des Sturmes Weib.
(Anfang einer Liedkomposition von Luise Greger)
Nachdem sie die sechs Schuljahre an der Greifswalder Schule für höhere Töchter absolviert hatte, erhielt sie privaten Gesangsunterricht bei einer entfernten Bekannten ihrer Mutter, danach in Berlin bei anderen Musiklehrer:innen. Wohnen konnte sie dort bei ihrer Schwester Agnes. Die Königliche Musikhochschule in der Hauptstadt besuchte sie als Gasthörerin. Das Fach »Komposition« durfte sie nicht besuchen, es war ausschließlich Jungen vorbehalten. Eine Zeitgenossin, Sabine Lepsius (1864 – 1942) schrieb über ihre Erfahrungen an der Königlichen Musikhochschule: »Allmählich reifte der Entschluss in mir, die Hochschule zu verlassen und mir den Kompositionsunterricht, so gut ich es konnte, selbst zu geben.« Dieser Entschluss reifte wohl auch in Luise, denn sie verließ die Hochschule nach einem Jahr und kehrte nach Greifswald zurück.
In einem Brief an ihre Schwester Agnes schrieb sie: »Auf einmal brechen des Lebens Wellen mit Macht über mich herein. An welchem Fels ich nun wohl einmal stranden werde? Vorläufig lande und strande ich immer nur mit Gedanken und Gefühlen an meinem Flügel und bade mich dann mit Wonne in seiner Töne Fluth.«
Wenig später heiratete sie ihren ›Fels‹, den Arzt Dr. Ludwig Greger (1860 – 1919) und zog mit ihm zusammen nach Berlin. Ein Jahr später kam ihr erstes gemeinsames Kind Helmuth zur Welt, drei Jahre danach folgte Klaus. Der Umzug von Berlin nach Kassel 1894 war eine familiäre, vor allem aber eine wirtschaftliche Entscheidung. Zwei Brüder Luises hatten ihr Glück als Brauereibesitzer in Kassel gemacht. Diese guten Bedingungen hoffte auch die junge Familie dort zu finden. Ludwig Greger kaufte eine Villa in der Burgfeldstraße 17 auf der Wilhelmshöhe mit ihrer guten Luft und eröffnete eine Kurklinik. Ganz selbstverständlich führte Luise diese Firma mit. Gleichzeitig hörte sie nie auf Klavier zu spielen, zu singen und zu komponieren.
Zwar verfügte die Kurklinik-Leiterin über Personal, dennoch brachen sich »die Wellen des Lebens« noch mehr über ihr, als sie 1898 ihren dritten Sohn Reinhold gebar. Wie lange das Musizieren ein Ausgleich für ihre vielen anderen Aktivitäten blieb, ist ungewiss. Jedoch schaffte sie es um 1903, sich wieder mehr der Musik zu widmen. Sie komponierte und trat nach langer Pause wieder öffentlich bei Hauskonzerten auf. Ihre Popularität wuchs, zugleich ließ sie sich 1911 von ihrem Ehemann scheiden. Sie litt allerdings keine finanzielle Not, denn Ludwig finanzierte ihren höchst komfortablen Lebensstil.
1911 musste sie aber Abschied nehmen von ihrem zweiten Sohn Klaus, der nach Amerika übersiedelte und eine Familie gründete. Er starb 1919 an der Spanischen Grippe.
Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, begrüßte ihn Luise euphorisch wie viele andere Deutsche auch. Sie schrieb sogar für die Soldaten Lieder, die auf ›Feldpostkarten‹ gedruckt an die Front geschickt wurden. Selbst der Tod ihres Jüngsten, Reinhold, in den letzten Kriegstagen 1918 konnte sie nicht von ihrer Kaisertreue abbringen.
Dank des großzügigen Unterhaltes eröffnete Luise Greger in sieben Zimmern des Kasseler Hotels Schombardt einen Salon, in dem sie zu illustren Gesellschaften lud und sich ihren honorigen Gästen präsentierte. Sie komponierte, sang mit ihrer Altstimme und begleitete sich selbst am Klavier. Zusätzlich verlegte sie ihre Musik selbst. Der Höhepunkt ihrer Karriere war die Uraufführung von Luises einziger Oper. 1933 hatte die Märchenoper »Gänseliesel« in Baden-Baden Premiere. Weitere zwölf Vorstellungen folgten. Das kompositorische Schaffen Luise Gregers umfasst insgesamt rund 250 Einzelwerke, darunter etwa 150 Lieder.
Für ihren bequemen Lebensstil kamen zunächst ihr geschiedener Mann und später, nach dessen Tod 1919, ihr ältester Sohn auf. Wie sein Vater war Helmuth Arzt geworden und hatte die Leitung des Kurbetriebs übernommen, wandelte sie jedoch in eine chirurgische und gynäkologische Klinik um. Mit seiner Ehefrau, der aus England stammenden Vollwaise Mabel, lag Luise zeitlebens im Klinsch.
Die Machtergreifung der Nationalsozialisten erlebte Luise, die zeitlebens bekennende Monarchistin war, im hohen Alter. Zu dem Regime hat sie sich nie geäußert.
1939, als auch ihr letzter verbliebener Sohn gestorben war, sah sich die 78-Jährige gezwungen, aus wirtschaftlichen Gründen in das evangelische Siechenhaus in Hofgeismar zu ziehen. Denn ihre Schwiegertochter Mabel war nicht länger bereit, ihren Lebensstil zu finanzieren.
Luise litt an Demenz, ihr Leben war jetzt in Gefahr, denn die Nationalsozialisten ermordeten systematisch Menschen mit körperlichen, seelischen und geistigen Behinderungen. Solange der Leiter des Siechenhauses, Pastor Theodor Weiß, seine schützende Hand über sie, wie auch über die anderen Senior:innen von Hofgeismar hielt, entging sie den regelmäßigen Kontrollen des Gauleiters Karl Weinrich. Ende 1943 aber, nachdem Pastor Weiß verstorben war, wurde Luise in das Psychiatrische Krankenhaus Merxhausen zwangseingewiesen.
Sie starb am 25. Januar 1944 aufgrund gezielter Unterversorgung, offiziell an einer Bronchitis.
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