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Foto: Diana Fölsch

Renate Fölsch

*1938
Reichsbahnpräsidentin a. D.
Eisenbahnerin auf Erfolgsspur

Der Zufall stellte die Weichen: In ihrem Heimatort Neustadt/Dosse war nur noch eine Lehrstelle frei – bei der Eisenbahn. Da »nahm meine Mutter diese für mich.« So begann am 1. September 1952 die beispiellose Karriere der Renate Fölsch bei der Deutschen Reichsbahn. Sie kletterte Stufe für Stufe die Erfolgsleiter hinauf und avancierte schließlich zur ersten Reichsbahnpräsidentin der DDR. Das war auch in einem Staat, der sich die Gleichberechtigung auf die Fahnen geschrieben hatte, eine Sensation. Zwar lag die DDR hinsichtlich der Anzahl berufstätiger Frauen an der Weltspitze, 1989 gingen 91 Prozent der DDR-Bürgerinnen einer Arbeit nach, geleitet wurden die Betriebe aber in aller Regel von Männern.

Meine Arbeit war stets auf ein schönes Leben der Menschen in sozialer Geborgenheit ausgerichtet.

Biografie

1938
Renate Fölsch wird in Breslau am 22. April geboren
1952
Lehre zur Facharbeiterin für den Betriebs- und Verkehrsdienst in Neustadt (Dosse) bis 1955
1955
Studium an der Ingenieurschule Gotha
1959
Eheschließung mit Hans-Joachim Fölsch
1960
Dienstvorsteherin des Bahnhofs Bützow, Bezirk Schwerin
1961
Mitgliedschaft in der SED bis 1990
1962
Dispatcher und andere Funktionen beim Reichbahnamt Güstrow sowie Geburt des Sohnes
1965
Als erste Frau wird Renate Fölsch zur Vorsteherin des Reichsbahnamts Güstrow ernannt
1965
Fernstudium zum Diplom-Gesellschaftswissenschaftler an der SED-Parteihochschule »Karl Marx« in Berlin
1967
Geburt der Tochter
1974
Verleihung des Titels »Held der Arbeit«
1975
Vizepräsidentin für Transportorganisation und Fahrzeuge in der Reichsbahndirektion Schwerin
1981
Wahl zum Mitglied der Volkskammer
1982
Als erste Frau wird Renate Fölsch zu Präsidentin der Reichsbahndirektion Schwerin ernannt
1986
Erneute Wahl in die Volkskammer
1987
Ernennung zur Reichsbahn-Hauptdirektorin
1990
Abberufung als Reichsbahnpräsidentin, bis Dezember 1993 Tätigkeit in der Generaldirektion der Deutschen Bahn in Berlin
Foto: Wolfgang Ehlers

Die einzige »Frau Präsident«

Als Chefin des Reichsbahn-Bezirks Schwerin hatte Renate von 1982 bis 1990 die Verantwortung für 16.500 Eisenbahner:innen sowie für den täglichen Einsatz von 700 Reisezügen und 600 Güterzügen. Ihr Bezirk reichte von Ribnitz-Damgarten im Norden bis ins brandenburgische Paulinenaue im Süden, von Teterow im Osten bis Boizenburg an der Elbe im Westen. Mit Disziplin, Improvisationstalent, Ideenreichtum und Autorität ging »Frau Präsident« auch an die Aufgabe heran, die Reichsbahn fit für die Zukunft zu machen. In ihrer Amtszeit wurde nicht nur das Streckennetz elektrifiziert. Auch weihte sie eine neue Eisenbahnbrücke über die Elbe ein und sorgte dafür, dass der Umschlag im Überseehafen Rostock mit einem Computersystem effizienter wurde.

Anfängliche Skepsis der Eisenbahner

»Die Eisenbahner (…) waren grundsätzlich erst einmal skeptisch gegenüber alles, was aus dem ›Roten Haus‹ kam«,  erinnert sich der ehemalige Lokführer Peter Falow an die gemeinsame Zeit. So auch gegenüber der neuen Frau an der Spitze. Tatsächlich glaubte Renate an den sozialistischen Staat. Sie war nicht nur seit 1961 Mitglied der SED und hatte ein Fernstudium der Gesellschaftswissenschaften absolviert, sondern war auch ein Jahr vor der Ernennung zur Bahnpräsidentin für den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) erstmals in das DDR-Parlament, die Volkskammer, eingezogen. 1974 erhielt sie den Ehrentitel »Held der Arbeit«, der vom Staat nur an 50 verdiente Werktätige im Jahr verliehen wurde. Mit ihrer Arbeit, so schrieb sie einmal selbst, habe sie ihren Beitrag zu einem »schönen Leben der Menschen in sozialer Geborgenheit« leisten wollen.

Medaille Held der Arbeit - wikimedia - Quelle unbekannt
Foto: Diana Fölsch

Stift und Zettel immer griffbereit

Und so überzeugte sie nach und nach ihre Untergebenen: mit ihrem Fleiß – der 12-Stunden-Arbeitstag war die Regel – mit Disziplin, Kreativität, Strenge, aber auch der Fähigkeit, andere zu motivieren. Vor allem aber suchte sie immer den Kontakt zu den Mitarbeitenden, sie sah sich als Mitglied der »großen Eisenbahnfamilie«. Gab es dienstliche oder private Probleme, konnte man sich an die Chefin wenden. Die Gespräche fanden nach Dienstschluss statt, bei einer Tasse Kaffee in gemütlicher Atmosphäre. Renate hatte auch stets Stift und Zettel griffbereit in der Tasche ihrer Uniform. Alles wurde notiert und später beantwortet, was an sie beim Kontrollgang oder beim Essen in der Betriebsküche herangetragen wurde.

Sie war Chefin und trotzdem auf Augenhöhe – so sahen viele ihre Vorgesetzte. Da spielte sicher auch ihre Herkunft eine Rolle: Am 22. April 1938 wurde Renate Klara als uneheliches Kind geboren. In Wusterhausen (Dosse) erlebte das Mädchen ihre ersten Jahre im Krieg. Die Angst beim Bombenangriff im Luftschutzkeller hat sie zeit ihres Lebens nicht vergessen. Zur Mutter Marta Röske hatte Renate stets ein gutes Verhältnis, der Vater Werner Hahues blieb ein Fremder. Er starb im Zweiten Weltkrieg. Schon in jungen Jahren übernahm das Kind Pflichten im Haushalt.

Schnellzug der Deutschen Reichsbahn -betexion über pixabay

Von der Pike auf gelernt

Renates Laufbahn begann 1952 mit der Lehre bei der Reichsbahn. Danach folgte ein Studium an der Ingenieurschule Erfurt/Gotha. Nach dem Berufseinstieg avancierte sie flott zur Dienstvorsteherin des Bahnhofs Bützow und wechselte als Amtsvorstand ins Reichsbahnamt Güstrow, bevor sie in der Schweriner Reichsbahndirektion erst zur Vizepräsidentin und schließlich zur Präsidentin aufstieg. »Durch wie viele fremde Betten mussten Sie gehen, um diese hohe Funktion zu erhalten?«, wurde sie einmal von einem ARD-Korrespondenten gefragt. Verblüfft schlussfolgerte Renate, dass Sex als Mittel zum Erfolg »in der kapitalistischen Gesellschaft nichts Außergewöhnliches« sei.

Unterstützung in all den Jahren fand Renate in ihrem Mann, dem Landwirt Hans-Joachim Fölsch. Ihn hatte sie mit 18 Jahren kennengelernt, auf einem Eisenbahnerfest – wo sonst? Mit ihm bekam sie zwei Kinder, Norbert (*1962) und Uta (*1969). Er hielt ihr all die Jahre den Rücken frei, half im Haushalt mit – und dies mit Zuneigung und Achtung vor den Leistungen seiner Frau. »Wir lieben uns noch immer«, schrieb Renate in ihren Erinnerungen 2008, fast 50 Jahre nach der Hochzeit.

Karriereende mit der Wende

Die Wende erlebte sie als »Niedermachung der DDR«. Gleichwohl hat sie 1989 in einem Brief an die Eisenbahner:innen »die Machenschaften ehemaliger führender Funktionäre der SED und der alten Regierung« nicht verschwiegen. Am 12. Oktober 1990 wurde Renate Fölsch als Reichsbahnpräsidentin verabschiedet. Ihre Unterschrift unter den Aufhebungsvertrag knüpfte sie an die Bedingung eines Anschlussvertrages. Drei Jahre arbeitete sie noch in der Berliner Zentrale der Reichsbahn, mit deren Auflösung beendete auch sie am 31. Dezember 1993 ihre berufliche Laufbahn. Ihre 41 Dienstjahre wurden erst nach vielen Prüfungen anerkannt.

»Wir haben damals 75 Prozent des Gütertransports auf der Schiene abgewickelt, heute sind es noch 17 Prozent«, bemerkte sie 2008 bei der Vorstellung ihrer Autobiografie. Und sie fügte hinzu. »Muss ich das noch kommentieren?«

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