1885–1976
Psychologin
Weltbürgerin mit Ehrfurcht vor dem Leben
Zu quasi jeder persönlichen Lebenssituation verfasste die unermüdliche Rosa Katz eine wissenschaftliche Studie. Sie veröffentlichte rund 40 Sachbücher in drei Sprachen, einige auch mit ihrem Ehemann David zusammen. Das Handwerk dazu fand die promovierte Psychologin in der experimentellen Psychologie. Eine entscheidende Rolle spielten ihre Bücher bei dem Wandel zu gewaltfreier Kindererziehung.
Ihre jüdische Herkunft zwang sie von Kindesbeinen an zu Umzügen: nach Palästina, nach Ägypten und quer durch Europa.
Ein ständiges Herumbefehlen an dem Kind ist überhaupt von Übel.
1885 Rosa wird am 9. April in Odessa geboren
1891 Diverse Umzüge, Rosa wird in Alexandria eingeschult, Rückkehr nach Odessa
1900 Nach dem 9. Schuljahr beginnt sie als Hauslehrerin zu arbeiten, teilweise parallel dazu Schule und Lehrerinnen-Studium
1907 Studium der Psychologie in Göttingen
1913 Promotion im Bereich Gedächtnispsychologie
1914 Lehrerin an der reformpädagogischen Odenwaldschule, im selben Jahr Entlassung, sie zieht nach Berlin
1919 Hochzeit mit David Katz, standesamtlich und jüdisch. David wird zum Professor an die Universität Rostock berufen
1920 Geburt des ersten Sohnes Theodor
1922 Geburt des zweiten Sohnes Julius Gregor
1926 Eröffnung des Wandernden Kindergartens in Warnemünde
1933 David Katz exiliert nach England
1935 Übersiedlung von Rosa mit den Söhnen nach England, sie führt tierpsychologische Versuche an Affen im Londoner Zoo durch
1937 Erneuter Umzug, diesmal nach Schweden, wo David Katz eine Stiftungsprofessur im Bereich Pädagogik an der Hochschule Stockholm antritt. Rosa Katz leitet das (Kinder-)psychologische Institut im Fachbereich Pädagogik
1953 David Katz stirbt an den Folgen eines chronischen Herzleidens
1959 Erste Reise von Rosa in ihr Geburtsland, jetzt die Sowjetunion
1964 Buchveröffentlichung ›Psychologie des Vornamens‹
1976 Rosa Katz stirbt knapp 91-jährig am 26. März in Stockholm
Rosa Katz wurde am 9. April 1885 in Odessa (Südrussland) als einzige Tochter von vier Kindern der jüdischen, nicht orthodoxen Familie Heine geboren. Ihr Vater stammte aus Kurland (Lettland), seine Muttersprache war Deutsch. Seine weitläufige Verwandtschaft mit Heinrich Heine prägte das Selbstverständnis der Familie. Rosas Mutter kam von der Krim, mit ihr und untereinander sprachen die Kinder russisch. Aus unterschiedlichen Gründen zog die Familie in Rosas Kindheit und Jugend mehrmals um. Zunächst siedelten sie nach Moskau über, wo der Vater als Ingenieur eine Anstellung fand. Doch der Antisemitismus nahm im Zarenreich am Ende des 19. Jahrhunderts zu. Die Familie wanderte nach Jaffa in Palästina aus. Der Vater plante, eine Fabrik in der Sandwüste aufzubauen. Er scheiterte, unter anderem, weil ihn die jüdische Gemeinschaft nicht anerkannte, denn er rasierte sich.
Die Familie verlegte ihren Wohnsitz nach Alexandria, wo Rosa an einer deutschen Schule in die erste Klasse kam. Schließlich kehrten die Heines nach Odessa zurück, Rosa besuchte dort die höhere Töchterschule. Ob bei dem Mädchen oder den drei Jungen, die Eltern legten großen Wert auf Bildung. Sie waren jüdisch-liberal, sozialpolitisch aufgeschlossen und – zurück in Odessa – ökonomisch etabliert.
Schon früh machte Rosa ›Karriere‹: Nach dem 9. Schuljahr begann sie in Odessa als Hauslehrerin zu arbeiten. Anschließend besuchte sie die Schule erneut für die 10. Klasse, sie erhielt eine Auszeichnung und bekam das Recht, als Lehrerin zu arbeiten – allerdings ausschließlich an jüdischen Schulen. Über eine Freundin erhielt sie die Chance, an einer Privatschule die ersten Klassen zu unterrichten. Nachdem sie sich offenbar bewährt hatte, machte ihr die Direktorin das Angebot, sie fest zu übernehmen, unter der Bedingung, dass Rosa zum Christentum übertreten müsse. Die junge Frau lehnte das ab und qualifizierte sich stattdessen weiter. Obwohl Frauen zu dieser Zeit in Russland benachteiligt waren – an Hochschulen waren sie nicht zugelassen – genoss Rosa eine erstklassige Ausbildung durch pädagogische Frauenkurse in Odessa. Sie schloss sie als studierte Lehrerin ab.
Solchermaßen selbstbewusst betrat die gerade 22-Jährige erstmals 1907 deutschen Boden. Zum Studium zugelassen wurden nur Frauen, die eine explizite Zusage des Institutsleiters bekamen. Sie wählte das Fach Psychologie in Göttingen, das sie 1913 mit einer Dissertation bravourös abschloss. Göttingen war für seine experimentelle Psychologie bekannt, eine Methode, die Rosa ihr Leben lang anwandte.
Schon bald verliebte sich die ausgesprochen hübsche »kleine Russin« (wie ein Freund, der später bekannte Philosoph Leonard Nelson sie nannte) in David Katz (1884–1953), den humorvollen Assistenten im Psychologischen Institut. Vorerst scheiterte jedoch die Heirat an den finanziellen Verhältnissen.
Rosa nahm eine Stelle als Lehrerin an der reformpädagogischen Odenwaldschule in der hessischen Stadt Heppenheim an. Engagiert versuchte sie ihre experimental-wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Arbeit einfließen zu lassen. Dann brach der Erste Weltkrieg aus und David Katz musste an die Front.
Durch einen persönlichen Konflikt mit dem Schulleiter wurde sie unter dem Vorwand ihrer russischen Herkunft entlassen.
Rosa zog nach Berlin und führte, unter ökonomischen Schwierigkeiten leidend, eine bunte Palette von wissenschaftlichen Tätigkeiten aus. Unter anderem arbeitete sie als Assistentin bei Professor Max Dessoir, der den Begriff ›Parapsychologie‹ prägte. Aufgrund dessen wurden David und Rosa Katz später in Rostock noch des Öfteren zu parapsychologischen Sitzungen eingeladen. Es war ihnen dabei allerdings »nie gelungen, ein parapsychologisches Phänomen zu erleben; meistens handelte es sich um eine Suggestion der Gläubigen oder um Täuschungen«, schrieb Rosa Katz später. Auch nahm sie eine Hilfsstelle im Büro der Russischen Botschaft an, worüber sich ihr Bräutigam amüsierte. Mit ihm, der sich an der Front befand, stand sie unablässig im Briefkontakt.
Mutig untersuchte die alleinstehende Frau in zwei Fachartikeln die Ursache für den tiefgreifenden Hass zwischen Russland und Deutschland. Verständlicherweise löste sie damit heftige Reaktionen aus.
Nach dem Ersten Weltkrieg hatte Rosa eine fünfzehnjährige ungestörte Phase der wissenschaftlichen Produktivität. Endlich, 1919, heirateten sie und David, ab da hieß sie Rosa Katz. Jahre zuvor bemerkte David in einem Brief an sie: »Es freut mich sehr, dass Du mit Frl. Katz so gut harmonierst. Ist es vielleicht Deine Bestimmung mit der Katzenart im Allgemeinen so gut auszukommen?«
Ein Jahr nach der Heirat kam Sohn Theodor auf die Welt, zwei Jahre danach Julius Gregor. David Katz erhielt eine Berufung an die Universität Rostock. Die junge Familie zog in eine Wohnung in der Moltkestraße.
Rosa Katz arrangierte sich mit ihrer Rolle als Mutter. Sie schrieb pädagogische Erziehungsratgeber und veröffentlichte Studien wie ›Das Erziehungssystem der Maria Montessori‹, ›Gespräche mit Kindern‹ oder ›Das Kind als Erfinder‹. Immer dienten auch ihre eigenen Kinder als Forschungsobjekt. Später danach befragt, äußerte sich ihr Sohn Gregor eher kritisch. Allerdings nicht, weil er sich ausgenutzt vorkam, sondern weil er dem liebenden Blick seiner Mutter die wissenschaftliche Objektivität absprach.
Im Sommer 1926 eröffnete Rosa in Warnemünde den Wandernden Kindergarten, auch mit ihren eigenen Kindern. Das Angebot richtete sich an Familien, die Urlaub machten. Eltern konnten ihre Kinder tagsüber in den reformpädagogischen Kindergarten geben, um sich besser zu erholen.
Nach der Machtübernahme der deutschen Regierung durch die NSDAP wurde besonders in Rostock massiver Druck auf die wenigen jüdischen Lehrkörper ausgeübt. »Katz stand dabei im Mittelpunkt der Boykotthetze«, so Brigitte Riedmann, die ihre Magisterarbeit über den Lebensweg des Ehepaars Katz verfasste. Weil David Katz im Ersten Weltkrieg 14 Monate lang als Frontsoldat gedient hatte und außerdem schon vor 1914 Berufsbeamter war, konnten ihn die Nationalsozialisten nach ihren eigenen Gesetzen nicht in die Pension schicken. Das Problem wurde gelöst, indem die Professur als überflüssig erklärt wurde, »man ließ sie eingehen«, schrieb seine Frau 1972. Dem damaligen Prodekan der Philosophischen Universität war es zu verdanken, dass Katz 1933 die Ausreise aus Deutschland genehmigt wurde. Noch im selben Jahr zog David zunächst alleine nach England ins Exil und bekam eine Gastprofessur in Manchester. 1935 siedelte auch Rosa mit den beiden Jungen nach England über.
Nach ihrem Umzug führte Rosa tierpsychologische Versuche an Affen im Londoner Zoo durch, die in zwei Veröffentlichungen mündeten: ›Some problems concerning the feeding behaviour of monkeys‹ (1936) sowie ›Behaviour of monkey under light of poor visibility‹ (1937). Dabei beobachtete sie zunächst die Nahrungsaufnahme von Affen und führte den Zeitpunkt und die Menge auf soziale Interaktion zurück. In der zweiten Studie verdunkelte sie das Affengehege und untersuchte die Unterschiede im Fressverhalten. Dass sie nicht, wie damals üblich, den Affen das Augenlicht nehmen ließ, bezeichnete sie selbst als wissenschaftlichen Vorteil, da dieselben Tiere unter anderen Bedingungen noch einmal untersucht werden könnten.
Privat verschaffte ihr die Studie freien Eintritt zu Regent’s Park, dem Londoner Zoo, den sie mit ihren Kindern oft nutzte.
David Katz erhielt eine feste Anstellung als Professor in Schwedens Hauptstadt, welche die Familie 1937 wieder in ein neues Land mit anderer Sprache, unbekannten Menschen und Sitten brachte. Sie fanden eine schöne Wohnung in Stockholm. Anfängliche Störungsversuche der Vorlesungen von David Katz durch schwedische Nationalsozialisten scheiterten schlussendlich an »der Furchtlosigkeit und Vornehmheit der maßgeblichen schwedischen Stellen«, schrieb Rosa Katz 1953.
In Stockholm fand das Paar endlich wieder die Ruhe, sich dem wissenschaftlichen Leben und Arbeiten vollkommen zu widmen. Sie luden Philosoph:innen, Künstler:innen und natürlich Psycholog:innen zu Gesprächsabenden zu sich nach Hause ein. Ernst Cassirer aus Göteborg war bei den Empfängen dabei.
Auch begann Rosa wieder zu veröffentlichen, zunächst eine aktualisierte Fassung ihres Buches über Maria Montessori auf Schwedisch. Sie arbeitete äußerst sorgfältig und verantwortungsbewusst. Bis ins hohe Alter blieb sie gesprächsbereit und wissbegierig, obwohl sie später unter Schwerhörigkeit litt. Ihr Sohn Gregor bezeichnete sie als »Pflichtforscherin«, er sagte, wenn sie nicht arbeite, dann sei ihr nicht wohl.
David Katz richtete 1953 den 13. Internationalen Kongress der Psychologie in Stockholm aus. Im selben Jahr starb er 69-jährig an den Folgen eines chronischen Herzleidens.
In den nächsten 20 Jahren kümmerte sich Rosa um den Nachlass ihres Mannes und veröffentlichte selbst noch einige Studien wie ›Psychologie des Vornamens‹ und ›Die philologische Frühbegabung‹.
Rosa Katz starb knapp 91-jährig am 26. März 1976 in Stockholm.
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