1621–1638, Barockdichterin
»Ein jeder läuft davon/
muß Haus und Hof verlassen/
kommt an den Bettelstab/
und geht auf fremden Gassen/
Es werden ohne Scheu/
die Alten abgethan/
das Kind muss an den Spieß/
die Jungfrau bei den Mann.«
Was musste ein Mädchen gesehen haben, um solche Verse zu dichten? Tatsächlich war Krieg Alltag im Leben der Sibylla Schwarz, Schreiben ihre Überlebensstrategie. In ihrem gerade einmal siebzehn Jahre dauernden Leben hat sie ein umfangreiches poetisches Werk geschaffen und damit auch den Namen ihrer Heimatstadt Greifswald in den deutschen Ländern berühmt gemacht. Später geriet Sibylla jedoch für lange Zeit in Vergessenheit. Heute hat man in ihr eine der wenigen namhaften Dichterinnen des Barock wiedererkannt. Die Greifswalderin hat mit ihrem Perspektivwechsel von der ausschließlich männlichen hin zur weiblichen Poesie Maßstäbe gesetzt.
Im Krieg wurde Sibylla geboren, im Krieg starb sie. Sie erblickte 1621 als jüngste Tochter des Greifswalder Ratsherrn, geheimen Rates des Pommernherzogs und späteren Bürgermeisters Christian Schwarz (1581–1648) und der Professorentochter Regina Völschow (1582–1630) das Licht der Welt. Der Dreißigjährige Krieg tobte damals bereits drei Jahre, hatte aber ihren Heimatort noch nicht erreicht. Als Sechsjährige aber erlebte Sibylla die Besetzung der Stadt durch die Kaiserlichen Truppen unter Albrecht von Wallenstein (1583–1634), mit neun Jahren den Einzug des schwedischen Königs Gustav II. Adolf (1594–1632).
Gerne schryb ich weiter fort / doch die Faust wil mir erkalten.
Nicht nur die Schrecken des Krieges hinterließen Narben auf der Seele des Kindes, sondern auch der Tod der Mutter 1630, der die neunjährige Sibylla viel zu früh in die Rolle der Hausfrau zwang. Zwar war sie durchaus bereit, die häuslichen Pflichten zu übernehmen, das allein aber füllte sie nicht aus. Denn das Mädchen war überaus gebildet für seine Zeit. Der Vater schickte sie auf eine der wenigen Jungfrauenschulen der Stadt und vielleicht hatte sie auch vom Hausunterricht der Brüder profitiert. Offenbar nutzte sie auch gern die gut ausgestattete Bibliothek ihres Elternhauses, denn ihre Kenntnisse der Literatur, vor allem der niederländischen, waren außergewöhnlich. Sie war nicht nur mit religiösen Texten und antiken Stoffen vertraut, sondern auch mit populären Werken ihrer Zeit. Besonderen Einfluss hatte das »Buch von der Deutschen Poeterey« von Martin Opitz (1597–1639), denn dessen Abkehr von antiken Versmaßen und Hinwendung zu einer der deutschen Sprache angemessenen Metrik wurde zur Grundlage ihrer Dichtung. Schwärmerisch nannte Sibylla ihn in einem ihrer Werke ihren »Prinzen«.
Wahrscheinlich hatte sie schon früh erste Gedichte verfasst und vielleicht auch im Kreis der Familie und gelehrter Gäste vorgetragen. Der Vater förderte ihr Talent, gleichwohl blieben dem Mädchen die häuslichen Pflichten und ihre künftige Rolle als Ehefrau und Mutter stets bewusst.
Wenn Sibylla im Konflikt zwischen den gesellschaftlichen Erwartungen und ihren eigenen Wünschen stand, dann versuchte sie mit viel Fleiß beidem zu genügen.
1634 trat sie erstmals mit einem Gedicht an die Öffentlichkeit – eine kleine Sensation in Zeiten, in denen Frauen das Haus als Wirkungsstätte zugewiesen war. In nur vier Jahren folgte ein beachtliches Œuvre. Wieviel umfangreicher wäre es geworden, wenn Sibylla nicht plötzlich an der Ruhr erkrankt und kurz danach, am 10. August 1638, gestorben wäre? Der älteren Schwester Emerentia, die just an Sibyllas Todestag vor den Traualtar schritt, hatte sie ihr letztes Gedicht gewidmet:
»Wündsch so manche guhte Stunde/
als da Stern am Himmel stehn/
als man Sand ans Meeres Grunde/
und im Felde Graß mag sehn/
biß die Erd auß Erd auff Erden/
wiedrumb wird zur Erde werden.«
Streng nach den Regeln von Martin Opitz versuchte sich Sibylla in vielen Gattungen. Gelegenheitsdichtungen nehmen in ihrem Werk einen großen Raum ein. In einer Zeit, in welcher der Tod ein ständiger Gast war, spielten auch Lieder und Gedichte religiösen Inhalts eine, wenn auch geringere, Rolle. Mit Liebe und Freundschaft hingegen beschäftigte sich Sibylla besonders intensiv. Inmitten von Krieg und Zerstörung stilisierte sie ihre Begegnungen mit Freundinnen auf dem familieneigenen Gut Fretow zur idyllischen Utopie.
Eines der markantesten Werke ist »Ein Gesang wider den Neidt«, erhebt doch hier eine selbstbewusste weibliche Stimme Anspruch auf Gehör in der von Männern bestimmten Literaturwelt von damals. Auch in anderen Versen zeigt sie sich aufmüpfig, keck, ja sogar politisch. So heißt ein Gedicht »Poeten gehen dem unadeligen Adel weit vohr«. Und in anderen schlägt sie emanzipatorische Töne an:
»Den Frauen laßt den Ruhm/
ihr Sinn und ihr Verstand/
ist zwar nicht minder Klug/
doch minder nur bekannt!«
Schon damals wurde Sibylla »ein Wunder der Zeit« genannt, sie war im 17. Jahrhundert die einzige deutschsprachige Autorin, deren Werk veröffentlicht wurde. Zwölf Jahre nach dem Tod der »pommerschen Nachtigall«, 1650, gab ihr ehemaliger Hauslehrer und Bewunderer Samuel Gerlach (1609–1683) rund 100 Texte in einer zweibändigen Ausgabe »Deutsche poetische Gedichte« heraus. Sie zu lesen lohnt sich auch heute noch. Denn bei diesem jungen Mädchen, das 400 Jahre vor uns gelebt hat, vereinen sich Bildung, Musikalität und ein außergewöhnliches Sprachtalent. Auch wenn manche Verse barock gedrechselt anmuten, klingen andere erstaunlich aktuell und erfrischend direkt.
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